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Anpassung an den Klimawandel: „Wir brauchen naturnahe Wälder“

Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit von Trockenperioden wie 2018, mit gravierenden Folgen für die Wälder. Forstexperte Lutz Fähser erklärt, warum es nach Stürmen und Borkenkäfer-Invasion in den deutschen Forsten so trübe aussieht – und was getan werden muss, um das Ökosystem vor dem Zusammenbruch zu schützen.

Klimareporter°: Herr Fähser, der Bund Deutscher Forstleute sagt: In unseren Wäldern sieht es heute schlimmer aus als zu Zeiten des Waldsterbens in den 1980er Jahren. Ist es tatsächlich so dramatisch?

Lutz Fähser: Aussehen und Ursachen sind heute anders als damals. In den 1980er Jahren wurden alle Bäume, Sträucher, Kräuter von menschengemachten Luftschadstoffen aus Abgasen massiv bedroht und die Böden wurden überfrachtet mit Schwefel- und Stickstofflasten.

Die derzeitige Waldsituation ist geprägt durch das Absterben von Baumarten, die von der Forstwirtschaft über mehrere Jahrhunderte hinweg außerhalb ihres optimalen natürlichen Lebensraumes angepflanzt worden sind. Das sind vor allem Fichten und Kiefern.

Von Natur aus kämen solche verschleppten Nadelhölzer nur auf rund zehn Prozent der Fläche Deutschlands vor, tatsächlich sind es zurzeit aber rund 60 Prozent. Diese Holzarten sterben nun unter vergrößertem Klimastress massenhaft ab und sie werden in den nächsten Jahren noch mehr absterben. Die Natur befreit die Forsten von diesem Kunstfehler der Forstwirtschaft.

Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit von Hitze- und Trockenperioden wie 2018. Was passiert im Wald, wenn es sie tatsächlich häufiger werden?

Die nicht angepassten Baumarten wie die Fichten werden mehr und mehr auf ihre natürlichen kühlen und feuchten Areale in den Bergen beschränkt werden. Aber auch die bisher wenig beeinträchtigten Arten werden sich „umstellen“ müssen.

Solche Anpassung fällt Urwäldern – die wir in Deutschland nicht mehr haben – und naturnahen Wäldern leichter. Diese sehr dichten, im Innenraum stets kühlen und feuchten Wälder kompensieren Veränderungen von außen leicht. Das heißt für Deutschland: In den rund 20 Prozent naturnah aufgewachsenen Wäldern wird dieser Anpassungsprozess günstig ablaufen.

Die derzeitige intensive Forstwirtschaft lichtet aber die Wälder etwa doppelt so stark auf, wie die Natur vertragen kann, verdichtet die Böden mit Großmaschinen und pflanzt vermehrt nicht angepasste Holzarten aus anderen Klimaräumen. Wird diese naturwidrige Forstwirtschaft fortgeführt, werden auf 80 Prozent der Forsten weiter große, selbst mitverursachte Schäden entstehen.

Wie muss ein Wald aussehen, der stabiler ist und besser mit dem Klimawandel zurechtkommt?

Waldökosysteme sind umso anpassungsfähiger, je eigenständiger und natürlicher sie sich entwickeln können. Der überlebensfähige Wald ist ein sehr naturnahes System mit etwa doppelt so dichtem Baumbewuchs wie zurzeit und wenig Störungen durch Großmaschinen und Pflanzungen von nicht heimischen exotischen Bäumen. Eine „Waldvision“-Studie des Öko-Instituts Freiburg hat diese Strukturen im letzten Jahr näher beschrieben.

Es wird aber doch auch diskutiert, auf wärmetolerantere Bäume umzusteigen – die Douglasie, die Roteiche, die Küstentanne, die aus Nordamerika kommen.

Anpassung und Überlebensfähigkeit hängt nicht von einer bestimmten Baumart ab, sondern von der Funktionsfähigkeit des gesamten Ökosystems. Schon lange existierende naturnahe Wälder mit heimischen Baumarten, gesunden Böden, miteinander verflochtenen Beziehungen untereinander und intakten Wurzelsystemen praktizieren diese Anpassung automatisch.

Eingeführte „Wunderbaumarten“ sind eine Störung dieses gewachsenen Systems. Sie können innerhalb der nächsten 100 Jahre keinen positiven Beitrag zur Klimaresistenz der Wälder schaffen, im Gegenteil.

Müsste es nicht für einen naturnahen Umbau Geld vom Staat geben?

Ja, auf jeden Fall! Allerdings sind solche „naturnahen“ Hilfen vom Staat bisher mit Regelungen verbunden, die eher kontraproduktiv wirken. Es werden viele Eingriffe, Gestaltungen, schnelle Ergebnisse und Ähnliches gefordert.

Die Staatsministerien und Staatsforsten müssen zur Kenntnis nehmen, dass Aktionismus und hohe Holzproduktion in dieser für Natur und Menschen äußerst kritischen Situation sehr schädlich wirken.

Der Wald gilt ja auch als „Klimaschützer“, weil die Bäume per Fotosynthese CO2 speichern. Umweltschützer fordern, diese Funktion zu stärken und Bäume erst später zu ernten. Sinnvoll?

Die Naturschützer haben recht. Die schnellste und effektivste Art, mit Waldflächen CO2 zu binden und langfristig zu versenken, besteht darin, das lebende Holzvolumen in naturnahen Wäldern zu vergrößern. Ein Kubikmeter Holz speichert eine Tonne CO2. Jeder nicht gefällte Baum ist also sofort eine CO2-Senke. Ältere Bäume lagern mehr CO2 ein als junge.

Deshalb müssen die Wälder dichter und älter werden. Naturnahe Wälder können etwa doppelt so viel Holz respektive Kohlenstoff tragen wie die derzeitigen Forsten in Deutschland mit einem Holzbestand von rund 350 Kubikmetern auf dem Hektar.

Derzeit werden die Bäume sehr jung und dünn geerntet, weil die Holzindustrie ihre Maschinen auf dünne Dimensionen eingestellt hat. Das kann leicht geändert werden. Dickes Holz wird zudem wesentlich besser bezahlt.

Können die Forstbetriebe dann überhaupt noch Gewinn abwerfen?

Wälder und damit Forstbetriebe haben nicht nur die Funktion, Gewinne abzuwerfen. Sie sind elementare Lebensgrundlagen. Öffentliche Wälder dürfen nach einem Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts von 1990 nicht primär erwerbswirtschaftlich betrieben werden, sondern müssen vor allem dem Gemeinwohl und der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes dienen.

Dennoch können Forstbetriebe wirtschaftlich wesentlich besser abschneiden, wenn sie aufhören, gegen die natürlichen Entwicklungen anzuarbeiten, Kunststrukturen herzustellen und die produktiven Waldböden mit Großmaschinen zu zerstören.

Mit naturnahem Wirtschaften, wie es seit Jahrzehnten vorbildlich etwa in den Stadtwäldern von Göttingen und Lübeck praktiziert wird, sind die Kosten und Risiken drastisch reduziert worden – bei steigendem Wert der sorgsam geernteten Bäume.

Waldbesitzer und Förster fordern Hilfen vom Staat, teilweise fließt auch bereits Geld. Sollte der Staat hier massiv eingreifen?

Subventionen sind dann richtig, wenn sie eine unzumutbare Härte mildern und wenn die Schäden nicht vom Empfänger zu verantworten sind. Ein Kleinbauer, dessen Großvater seine Wälder nach Ratschlag der Förster aufgebaut hat und nun verliert, wird auf Subventionen hoffen dürfen.

Ein Großbetrieb mit eigenem Forstpersonal und einer langen Tradition von naturwidriger Forstwirtschaft sollte eher sein Konzept umstellen, das Holz günstig verkaufen und in Zukunft naturnahe Wälder sich entwickeln lassen.

Die Forstpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist aber mehr am Holzbedarf der Holzindustrie orientiert als am nachhaltigen Wohlergehen der Waldnatur. Sie wird vermutlich die klimalabilen Kunstwälder noch weiter subventionieren.

Der Forstleute-Bund beklagt, in den letzten Jahrzehnten sei die Hälfte des Forstpersonals angebaut worden. Braucht es hier eine Kehrtwende? Und wer soll sie bezahlen?

Der BDF hat durchaus recht. Allerdings ist die notwendige naturnahe Waldbehandlung der Zukunft noch mehr auf die Qualität des Forstpersonals angewiesen, die das sensible Waldökosystem nicht mehr so beschädigen darf wie zurzeit. Die Hochschulen und Universitäten erfüllen diesen Anspruch nicht, die Richtlinien der staatlichen Forstverwaltungen umso weniger.

Wir brauchen in Deutschland eine neue Ausbildungsstätte, die Waldpersonal ausbildet, das den Anforderungen der Zukunft gewachsen ist. Hier wären Subventionen dringend erforderlich.

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