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Bürgerwerke-Mitgründer: „Wir wollen die Energiezukunft in Bürgerhand legen“

Jens Secker
Autor/in:
Jens Secker
6 Minuten Lesezeit
Team der Bürgerwerke

Die Bürgerwerke haben es sich zur Aufgabe gemacht, dass alle Menschen in Deutschland an der Energiewende teilhaben können. Anfang März startet über WIWIN ein Crowdinvesting, bei dem sich Privatpersonen ab 250 Euro an dem Sozialunternehmen beteiligen können. Im Interview sprechen Bürgerwerke-Vorstand Felix Schäfer und WIWIN-Gründer Matthias Willenbacher unter anderem über ihre gemeinsame Vision einer Energieversorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Quellen und das anstehende Crowdinvesting.

Felix Schäfer, Gründer Bürgerwerke

Felix Schäfer, Vorstand und Mitgründer Bürgerwerke

Matthias Willenbacher

Matthias Willenbacher, Gründer WIWIN

Felix, Matthias, wie grün ist der Energiemarkt in Deutschland aktuell?

Felix: Der Strommarkt umfasst hierzulande über 50 Millionen Netzanschlüsse. Davon sind über zwei Drittel noch nicht mit Ökostrom versorgt. Auf den ersten Blick klingt das natürlich eher ernüchternd – gleichzeitig konnten wir während der vergangenen Jahre aber eine große Zahl an Stromkundinnen und Stromkunden für einen Anbieterwechsel gewinnen. Vielen von ihnen ist es dabei nicht nur wichtig, ab sofort Ökostrom zu beziehen; sie achten vor allem auch darauf, dass ihr Anbieter aus der Region kommt. Wir sind überzeugt, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren weiter verstärken und der Energiemarkt somit immer grüner und regionaler wird.

Matthias: Tatsächlich ist das Entwicklungspotenzial hierbei immens. Allein mit Blick auf die vorhandenen technologischen Möglichkeiten könnten wir dem Energiemarkt schon längst einen vollständig grünen Anstrich geben. Nehmen wir das Beispiel Windenergie: Wir haben heute etwa 30.000 Windräder in Deutschland und diese Windräder erzeugen im Schnitt Strom für jeweils 1.000 Haushalte. Moderne Anlagen erzeugen allerdings bereits fünf- bis sechsmal so viel Strom wie die bisherigen. Die Entwicklung der Windkraftanlagen ist in den vergangenen Jahren rasant vonstattengegangen, das heißt: Unter der Voraussetzung, alle alten Windräder abzubauen und zudem 30.000 neue Windräder zu installieren, könnte man schon heute mehr Strom aus Windkraft produzieren, als wir derzeit verbrauchen. Diese Chance sollten wir unbedingt nutzen!

Welches Ziel verfolgt ihr mit den Bürgerwerken?

Felix: Meinen Mitgründer Kai Hock und mich treibt die Vision an, die Energiezukunft in Bürgerhand zu legen. Und genau deshalb haben wir 2014 die Bürgerwerke gegründet. Bei uns können sich sowohl die Mitglieder unserer Bürgerwerke-Genossenschaften als auch unsere Kundinnen und Kunden unmittelbar am Ausbau erneuerbarer Energien beteiligen und zugleich 100 Prozent Ökostrom beziehen. Konkret funktioniert der Kreislauf so: Privatpersonen können sich über eine Mitgliedschaft in einer regionalen Bürgerenergie-Genossenschaft an Erzeugungsanlagen beteiligen. Die Genossenschaft realisiert dann wiederum Energieprojekte wie beispielsweise den Bau von Solar– oder Windenergieanlagen. Der auf diese Weise produzierte Ökostrom kann schließlich von den Bürgerinnen und Bürgern bezogen werden, egal ob sie Mitglied in einer Bürgerwerke-Genossenschaft sind oder nicht.

Was macht die Bürgerwerke für dich so besonders, Matthias?

Matthias: Die Bürgerwerke sind ein Paradebeispiel dafür, wie ungemein größer der Impact auf die Nachhaltigkeitswende ist, wenn sich möglichst viele Menschen mit einer guten Absicht zusammenschließen und sich gemeinsam für ihre Überzeugung einsetzen. In den Bürgerenergie-Genossenschaften machen sich über 1.000 überwiegend Ehrenamtliche dafür stark, vor Ort weitere Menschen für die Idee des Bürgerstroms zu begeistern und zusammen neue Anlagen zu errichten. Das ist großartig!

Wie haben sich die Bürgerwerke in den vergangenen Jahren entwickelt?

Felix: Wir sind sehr zufrieden mit der Geschäftsentwicklung der vergangenen Jahre. Die Bürgerwerke haben ihre Wirkung seit Gründung um mehr als den Faktor 20 gesteigert. Inzwischen sind über 40.000 Personen an der Finanzierung der über 1.500 Anlagen beteiligt oder versorgen sich selbst mit Ökostrom. Darüber hinaus sind die Bürgerwerke mit ihren Erträgen in der Lage, ihre Betriebskosten vollständig zu decken, sodass wir seit 2019 auch profitabel arbeiten.

Was sind die Ziele, die ihr durch das Crowdinvesting bei WIWIN erreichen wollt?

Felix: Ganz grundsätzlich steht für uns als Sozialunternehmen nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund; für uns hat vielmehr die größtmögliche Wirkungssteigerung für Gesellschaft und Umwelt oberste Priorität. Mit Hilfe der Crowdinvesting-Kampagne wollen wir die Grundlage dafür schaffen, noch mehr Menschen für das Konzept der Bürgerenergie zu begeistern und die Wirkung unseres Geschäftsmodells bis 2026 zu verdreifachen. Das beinhaltet zum einen die Skalierung der Energieversorgung auf mehr als 100.000 Kundinnen und Kunden. Zum anderen wollen wir die Dienstleistungen unserer Dachgesellschaft für die Energiegenossenschaften erweitern, um den Ausbau von Anlagen zu beschleunigen. Darüber hinaus ist vorgesehen, die Aktiven in den Bürgerenergie-Genossenschaften noch stärker bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Warum passen WIWIN und die Bürgerwerke so gut zusammen?

Matthias: Beide Unternehmen verbindet die Überzeugung, dass wir das 1,5-Grad-Ziel nur erreichen können, wenn der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Wir stehen für eine Nachhaltigkeitswende von unten: Alle Menschen können und müssen ihren eigenen Beitrag dazu leisten, unsere Welt ein Stückchen besser zu machen. Dieser Gedanke treibt die Überzeugungstäterinnen und -täter von WIWIN an, ebenso wie die Energiebürgerinnen und -bürger der Bürgerwerke.

Mit Blick auf die neue Ampelkoalition: Was erwartet ihr von der Bundesregierung für die aktuelle Legislaturperiode?

Matthias: Zunächst einmal gibt der Koalitionsvertrag großen Grund zur Hoffnung. Er zeigt, dass die Ampelkoalition verstanden hat, dass eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien absolut notwendig ist. Ersetzen wir wie vorhin beschrieben die alten Windkraftanlagen durch moderne und errichten zudem auf einem Prozent der Fläche in Deutschland Solaranlagen, könnten wir leicht auf Elektromobilität und eine Wärme- und industrielle Versorgung mit regenerativen Energien umsteigen. Damit es dabei jedoch nicht bei theoretischen Kalkulationen bleibt, müssen ab sofort alle an einem Strang ziehen – und das nicht nur auf bundespolitischer Ebene, sondern vor allem auch seitens der Länder.

Felix: Ich sehe es genauso wie Matthias. Mit der neuen Koalition hat die Politik eine Richtung eingeschlagen, die wir absolut begrüßen. Dass sich der Energiemarkt aktuell in einem riesigen Umbruch befindet, ist für alle Marktakteure Risiko und Chance zugleich. Vor dem Hintergrund der steigenden Preisdynamik an den Energiemärkten sollte der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für eine gemeinschaftliche Eigenversorgung deutlich vereinfachen – sei es im Bereich Mieterstrom oder der gemeinschaftlichen Versorgung aus Wind- und Solarparks über das öffentliche Netz, dem sogenannten Energy Sharing. So können alle Bürgerinnen und Bürger ihre Energiekosten durch den Ausbau Erneuerbarer Energien vor Ort senken, selbst wenn sie nur über geringe Mittel für eine finanzielle Beteiligung oder kein eigenes geeignetes Dach verfügen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass gerade der im Koalitionsvertrag vereinbarte beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien die Rahmenbedingungen für Bürgerstrom und Photovoltaik deutlich verbessern wird. Dank unserer soliden Geschäftsentwicklung der vergangenen Jahre bringen die Bürgerwerke jetzt genau die richtigen Voraussetzungen mit, diese Chance aktiv zu nutzen.

 

Alle Infos zum anstehenden Crowdinvesting gibt es in Kürze auf WIWIN.de und im WIWIN-Newsletter.

Die Fragen stellte Jens Secker.

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