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„Ein Jahrhundert-Sommer alle paar Jahre“

Klimaforscherin Friederike Otto erläutert, welchen Anteil der Klimawandel an Hitzewellen im Sommer und Überschwemmungen hat. Mit ihrem Team hat sie für europäische Städte die Wahrscheinlichkeit eines Hitzesommers wie 2018 berechnet. Die Ergebnisse solcher Forschung könnten bald für Klimaklagen bedeutsam sein.

Klimareporter°: Frau Otto, nach dem Jahrhundert-Sommer in Deutschland und in Europa 2018 fragen sich viele Menschen: Droht uns so etwas nun jedes Jahr?

Friederike Otto: Nein, jedes Jahr sicher nicht. Aber der „Jahrhundert-Sommer“ im letzten Jahr war keiner, denn wir werden solche Temperaturen viel öfter als nur einmal in 100 Jahren bekommen, das ist sicher.

Im Moment erleben wir in Deutschland eine sehr heiße Juni-Woche. Normal – oder schon nicht mehr?

Einen warmen Juni hat es schon immer mal gegeben. Jedes Extremwetter-Ereignis ist immer eine Kombination verschiedener Ursachen. Da spielt die natürliche Veränderlichkeit des Wetters eine Rolle, außerdem Einflüsse wie Landnutzung und Bodenfeuchte.

Hinzu kommen aber nun die externen Antriebe des Klimasystems – vor allem die Wirkung der zusätzlichen Treibhausgase in der Atmosphäre, die der Mensch dort deponiert hat. Inzwischen spielt der Klimawandel bei jeder Hitzewelle, die wie in Europa haben, eine Rolle. Das zeigen unsere Analysen.

Wie groß war denn der Anteil des Klimawandels an der Hitzeperiode im Sommer 2018?

Wir haben die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Hitzewelle entsteht, für sieben Städte in Europa analysiert. Es zeigte sich: Sie hat sich, je nach geografischer Lage, etwa verdoppelt bis verzehnfacht.

Für das niederländische Utrecht haben wir ermittelt, dass die hohen Temperaturen im letzten Juli in einer Welt ohne Klimawandel nur alle 20 Jahre zu erwarten wären, inzwischen treten sie alle fünf Jahre auf. Ergibt eine Erhöhung um das Vierfache. Das dürfte so ähnlich auch auf deutsche Städte zutreffen.

Wie häufig wäre so ein „Jahrhundert-Ereignis“ anno 2050 oder 2100?

Zur Mitte des Jahrhunderts dürfte die mittlere globale Temperatur 1,5 Grad höher als in vorindustrieller Zeit liegen, bisher beträgt der Anstieg ein Grad. Dann wird der Sommer, wie wir ihn 2018 hatten, ein ganz normaler Sommer sein.

Die Situation anno 2100 hängt ganz davon ab, wie schnell die Treibhausgas-Emissionen weltweit auf null sinken. Schaffen wir es nicht, das Zwei-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, gibt es dann sogar noch deutlich heißere Sommer. 2018 wäre kühl dagegen.

Auch im Mittelalter gab es extreme Sommer. Kein Widerspruch zu Ihren Ergebnissen?

Nein, keineswegs. Auch ohne den Klimawandel gibt es extreme Hitze, nur deutlich seltener als heute, bedingt durch natürliche Schwankungen im Wetter sowie externe Einflüsse. Zur Zeit der mittelalterlichen Warmzeit war zum Beispiel die Sonneneinstrahlung auf die Erde stärker, als sie es heute ist – ein wichtiger Faktor.

Heute müssten wir wegen der geringeren Einstrahlung eigentlich eine kühlere Periode haben, doch der Klimawandel hat das komplett in die andere Richtung verschoben.

Wie genau wirkt die menschengemachte Klimaerwärmung denn auf das Wetter?

Es gibt vor allem zwei Effekte. Erstens: Mehr Treibhausgase in der Atmosphäre erhöhen die Durchschnittstemperatur, dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen, während die von Kältewellen sinkt. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit von extremen Niederschlägen, weil die Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnimmt und dieser als Regen wieder herunterkommt.

Zweitens: Es verändert sich die atmosphärische Zirkulation – also, wo Wettersysteme entstehen, wohin sie ziehen, wie sie sich verändern. Es kann sein, dass beide Effekte sich verstärken, sie können sich aber auch gegenseitig aufheben, je nach Region unterschiedlich.

Wie kann man überhaupt feststellen, ob der Klimawandel Wetter-Extremereignisse häufiger macht oder verstärkt?

Im Grundsatz ist es einfach. Wir schauen uns an, welches Wetter im heutigen Klima möglich ist und welche Wahrscheinlichkeit in dieser Situation das jeweilige Extremereignis hat – ob es zum Beispiel alle 50 oder alle 100 Jahre zu erwarten ist.

Dann berechnen wir in Computersimulationen die Wahrscheinlichkeit dafür in einer Atmosphäre, die noch nicht mit den zusätzlichen Treibhausgasen aufgeladen ist.

Ein Vergleich der beiden Wahrscheinlichkeiten zeigt dann, ob der Klimawandel eine bestimmte Hitzewelle, Dürre oder Überflutung befördert hat oder nicht.

Sie versuchen, Bewertungen zum Einfluss des Klimawandels auf solche Extremereignisse bereits zu liefern, während das Ereignis noch läuft. Sind das nicht gewagte Schnellschüsse?

Nein, wir machen das nur bei Ereignissen, für die unsere Methoden bereits viele Male getestet und auf dem normalen Wissenschaftsweg überprüft worden sind. Wenn es gut läuft, können wir bereits nach fünf Tagen valide Aussagen treffen. So war es etwa bei der Hitzewelle 2018.

Sind bestimmte Regionen besonders vom Klimawandel betroffen? Und welche weniger?

In der Arktis haben sich die absoluten Temperaturen zwar bereits deutlich stärker erhöht als in den Tropen. Trotzdem können die Folgen für die Länder im Süden viel gravierender sein, weil dort die Ökosysteme und die Sozialsysteme an ein relativ stabiles Klima ohne große Wechsel von Jahr zu Jahr angepasst sind. Veränderungen wirken sich hier viel stärker aus als in nördlicheren Zonen, wo man mit einem deutlich variableren Klima zu leben gelernt hat.

Es trifft die Entwicklungsländer, die historisch nur geringe Schuld am Klimawandel haben, also heftiger als den Norden?

Genau. Bei uns bedeuten mehr Hitzewellen für viele Menschen bisher vor allem, öfter ins Schwimmbad gehen und mehr Eis zu essen. In den Entwicklungsländern ist die Situation viel dramatischer, auch weil die Vulnerabilität, die Verletzlichkeit, deutlich höher ist.

Sie hoffen, dass eine schnelle Bewertung der Klimawirkung Politiker eher dazu bringen wird, positive Entscheidungen zur Klimapolitik oder zum direkten Schutz der Menschen zu fällen. Funktioniert das?

Indirekt schon. Unsere zahlreichen Studien in den letzten zwei, drei Jahren zu dem Thema haben sicher dazu beigetragen, dass das Bewusstsein gestiegen ist: Wir leben bereits im Klimawandel, er ist nicht etwas, das anderswo oder erst in der Zukunft passiert.

Zusammen mit den globalen Schülerstreiks und anderen Protesten erhöht das den Druck auf die Politik. Das Thema ist weit oben auf der Agenda. Das hat sich noch nicht in wirksame Klimapolitik umgesetzt. Aber das kann ja noch kommen.

US-Präsident Trump werden Sie nicht beeindrucken…

Das stimmt. Aber bei den Wählern der Republikaner ist es anders. Sie werden sich nicht mehr lange einreden können, dass der Klimawandel gar nicht stattfindet. Im Mittleren Westen leidet die Landwirtschaft schon heute stark, und da wohnen Trumps Anhänger.

Sie hoffen, dass dank Ihrer Arbeit „die Schuldigen am neuen Wetter“ besser zur Rechenschaft gezogen werden können – etwa die Energiekonzerne. Wie kann das gelingen?

Unsere Forschung liefert die wissenschaftliche Grundlage für eine solche Zuordnung. Man kann eindeutig zeigen, welchen Anteil der bei Extremereignissen auftretenden Schäden man dem Klimawandel zuordnen kann – und damit den Verursachern der Emissionen.

Das Problem ist noch, das auch rechtlich wasserdicht zu machen. Daran arbeiten zurzeit viele Juristen. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis das kommt.

Das zielt vor allem auf die großen Verschmutzer, Konzerne wie RWE oder Exxon Mobil. Aber wie ist es mit uns Normalbürgern, die wir auch Mitverursacher sind?

Unser ganzes gesellschaftliches System ist auf fossilen Brennstoffen aufgebaut. Wenn wir eine Politik unterstützen, die ein „Weiter so“ fordert, sind wir schuldig. Aber zum Beispiel Auto zu fahren, wo es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, ist in meinen Augen notwendig, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Informationen zu Quellen & Bildrechten

Dieser Artikel ist ursprünglich im Online-Magazin zum Klimawandel Klimareporter° erschienen.

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