„Die Landwirtschaft muss intensiviert werden – aber nachhaltig“
Landwirtschaft muss mehr Ertrag auf weniger Fläche bringen, wenn die Menschheit wächst und gleichzeitig den Klimawandel in den Griff bekommen will, sagt der Weltbank-Ökonom Tobias Baedeker.
Klimareporter°: Herr Baedeker, die Weltbevölkerung wird in den nächsten 31 Jahren von gut sieben auf knapp zehn Milliarden Menschen wachsen. Dadurch steigt der Nahrungsmittelbedarf. Was bedeutet das für die Welt?
Tobias Baedeker: Man kann das auf drei Dimensionen herunterbrechen: die Nahrungsmittellücke, die Landlücke und die Emissionslücke.
Es müssen 56 Prozent mehr Kalorien produziert werden – die Nahrungsmittellücke.
Dazu werden sechs Millionen Quadratkilometer zusätzlich gebraucht. Die Landlücke entspricht also knapp der doppelten Fläche Indiens.
Außerdem verursacht Landwirtschaft CO2-Emissionen. Ohne Gegenmaßnahmen lägen diese bei 15 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr statt bei vier Milliarden Tonnen, wie für das Zwei-Grad-Klimaziel zulässig. Somit beträgt die Emissionslücke elf Milliarden Tonnen.
Hat die Welt genug Land?
Die Hälfte der nutzbaren Landfläche wird bereits landwirtschaftlich genutzt. Um die Landlücke zu schließen, müsste man rund 15 Prozent der Wälder der Welt abholzen.
Für den Arten- und Klimaschutz wäre das verheerend. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche darf nicht weiter wachsen. Damit ist klar: Die Erträge pro Hektar müssen steigen.
Das renommierte World Resources Institute in Washington geht in einer von der Weltbank unterstützten Studie von steigenden Erträgen aus.
Das WRI erwartet, dass die Hektarerträge weiter so zunehmen wie im Schnitt der Jahre 1961 bis 2010. Das ist eine mutige Annahme, denn in den letzten Jahren hat sich das Wachstum verlangsamt.
Wir hatten in den Sechziger- und Siebzigerjahren die „Grüne Revolution“: Damals konnte man durch mehr Bewässerung, besseres Saatgut und Stickstoffdünger enorme Ertragssteigerungen erreichen. Aber seither hat es keine vergleichbaren Ertragssprünge mehr gegeben. Wenn man Pflanzenwissenschaftler fragt, ist völlig unklar, wie es weitergehen kann.
Ist die Lage also aussichtslos?
Der WRI-Bericht kann da wegweisend sein, weil er auch unkonventionelle Lösungen einbezieht – von der Reduktion der Nahrungsmittelabfälle über weniger Fleischkonsum bis hin zu Geburtenkontrolle. Dabei sind 23 Ansätze herausgekommen, mit denen die Lücken in der Summe geschlossen werden können.
Ein Startpunkt sind die sehr unterschiedlichen Hektarerträge auf der Welt. Es gibt immer noch viele Länder, wo Bauern auf ihren Feldern mehr produzieren könnten, ohne das Ökosystem an seine Grenzen zu bringen. Darum muss man weiter in die Entwicklungshilfe im Agrarsektor investieren.
Aber auch die Landwirtschaft in den Industriestaaten muss weiter intensiviert werden. Das muss nicht zum Nachteil der Umwelt sein: Wir haben in der EU die Erträge um 30 Prozent gesteigert und den Stickstoffverbrauch um 40 Prozent reduziert. So geht nachhaltige Intensivierung.
Ist Gentechnik die Lösung?
Als Weltbank sind wir bei dieser Frage agnostisch. Für uns zählt, wie die Länder ihre Probleme lösen wollen, und wir unterstützen sie dabei. Gentechnik ist ein Werkzeug unter vielen.
Ich habe zudem den Eindruck, dass das Potenzial der Gentechnik oft überschätzt wird. Wir sind mit herkömmlichen Züchtungsmethoden sehr weit gekommen – oft bis an die physikalischen Grenzen: Maiskolben sind heute so groß, dass der Stängel sie gerade noch tragen kann, ohne umzuknicken.
Grundsätzlich gilt aber ein chinesisches Sprichwort: Es ist egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist, solange sie Mäuse fängt. Für uns sind diese Mäuse: Hunger, Armut, Klimawandel.
Biolandwirtschaft hat einen größeren Flächenbedarf. Ist das dann noch zu rechtfertigen?
Es gibt immer mehr Anhaltspunkte, dass Biolandwirtschaft hohe Erträge erzielen kann, nicht zuletzt, weil sie ökologischer ist. Stichwort: „Mit der Natur statt gegen die Natur“. In den USA werden auf großen Flächen weder Kunstdünger noch Pflanzenschutzmittel eingesetzt.
Aber die Produktionskosten sind meist wesentlich höher als bei konventioneller Landwirtschaft und man braucht viel mehr Know-how. Die herkömmliche Landwirtschaft ist einfacher.
Daher muss man auch in Europa in die Ausbildung der Bauern investieren und die Entwicklung der Landwirtschaft als eines modernen Wirtschaftssektors vorantreiben.
Das schließt aber den typischen Kleinbauern aus. Dem fehlt in Afrika das Kapital für Bewässerung und in Europa das Know-how für „Präzisionslandwirtschaft“. Müssen die Höfe also größer werden?
Dieses Thema ist in den letzten zwölf Monaten mehr und mehr diskutiert worden, seit Analysen wie der WRI-Bericht zeigen: Das Landbudget der Welt ist knapp. Damit ist die „Transformationsagenda“ aufgekommen.
Das heißt: Der ganze Landwirtschaftssektor bedarf einer Generalüberholung. Da muss man auch fragen, wie sich Drohnen und Kleinbauern zusammenbringen lassen.
Es hat sich eine Tendenz herausgebildet, in der sich wenige Großbauern rasant entwickeln, während Kleinbauern zurückfallen. Daher muss man über Alternativen nachdenken, also über Themen wie soziale Abfederung, Entwicklung der ländlichen Räume und alternative Einkommensquellen.
Historisch betrachtet geht es ohnehin in diese Richtung: Immer weniger Menschen arbeiten in der Landwirtschaft, während die Hofgröße wächst.
Das werden viele nicht gerne hören.
Das Gegenteil ist auch keine zufriedenstellende Lösung. In einigen afrikanischen Ländern sind wegen des Bevölkerungswachstums die Höfe dramatisch geschrumpft. Das Ergebnis sind Betriebe, die Familien zur Armut verurteilen und zur Migration in die Städte und bis nach Europa zwingen. Daher ist es wichtig, in ländlichen Räumen Jobs zu schaffen.
Generell sollten wir uns in der Landwirtschaftscommunity eher darauf konzentrieren, worauf wir uns einigen können, als auf das, was uns trennt. Landwirtschaft ist extrem divers und vom lokalen Kontext abhängig. Daher sind Ansätze falsch, die für alle die gleichen Lösungen vorsehen.
Was ist mit Agrosprit?
Das geht gar nicht. Das ist vollkommen Ressourcen-ineffizient. Bioenergie aus Abfällen ist natürlich etwas anderes, aber aus Nahrungsmitteln geht nicht.
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Dieser Artikel ist ursprünglich im Online-Magazin zum Klimawandel Klimareporter° erschienen.