Extinction Rebellion: Die letzte Hoffnung ein Aufstand
Gesetze brechen und verhaftet werden: Die meisten Menschen wollen das vermeiden. Doch es könnte die letzte Hoffnung sein, um die Regierung zu wirksamem Klimaschutz zu bewegen. Daher versucht „Extinction Rebellion“ aus unbescholtenen Bürgern Rebellen zu machen.
„Diese Bewegung beruht auf Forschung“, sagt Roger Hallam über Extinction Rebellion (XR). Hallam ist der Vordenker des „Aufstands gegen das Aussterben“. Ausgangspunkt seiner Forschung ist die Erkenntnis, dass herkömmliche Protestformen wie Demonstrationen und Petitionen keinen Einfluss auf die Klimapolitik der britischen Regierung hatten.
Es gibt allerdings eine Methode, die in der Vergangenheit oft zu einem radikalen Politikwechsel oder gar zum Sturz von Regierungen geführt hat: massenhafter, strikt gewaltfreier, ziviler Ungehorsam – ein friedlicher Aufstand.
Das hat sich etwa beim Kampf für das Frauenwahlrecht in Großbritannien, bei der Bürgerrechtsbewegung in den USA oder auch bei Gandhis Kampf für die Unabhängigkeit Indiens gezeigt.
Extinction Rebellion: Mobilisierung für den Klimaschutz
Da die Klimakrise mittlerweile den Punkt erreicht hat, wo der Fortbestand der Menschheit in Gefahr ist, bleibt aus Sicht von Hallam nur noch eine Wahl: „Die Frage ‚Wie löst man die Klimakrise?‘ bedeutet letztlich: ‚Wie mobilisiert man die Menschen, zu rebellieren?‚“
Genau diese Frage steht folglich im Zentrum des „Designs“ von XR. Wie bringt man unbescholtene Bürger dazu, Gesetze zu brechen und sich dafür verhaften zu lassen?
Legitimation
Das erste Element ist hier die Legitimation. Die Menschen müssen davon überzeugt sein, dass sie das Richtige tun. XR leitet die Legitimation für den Aufstand aus drei Faktoren ab: der Dringlichkeit der Krise, dem Mangel an anderen Handlungsoptionen und dem Naturrecht. Dieses kennt ein „Recht auf Rebellion“ wenn die Regierung sich weigert, das Leben ihrer Bürger zu schützen.
Die offizielle „Erklärung des Aufstands“ vom 31. Oktober letzten Jahres gibt denn auch der Regierung die Schuld für den Aufstand: „Wir erklären den Gesellschaftsvertrag, den die Regierung außer Kraft gesetzt hat durch ihr Versagen, angemessen zu handeln, für null und nichtig.“ Für XR ist ein friedlicher Aufstand also nicht nur nötig, sondern auch legitim.
Radikalisierung
Das zweite Element zur Mobilisierung von Tausenden Menschen sind Aktionen wie Sitzblockaden, bei denen jeder einfach ein Gesetz brechen kann. Dabei erfolgt die Radikalisierung der Menschen bis zum Punkt, wo sie bereit sind verhaftet zu werden, nicht vor der Aktion, sondern durch die Aktion, meint Hallam.
„Meine ganze Doktorarbeit lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Aktion schafft Mobilisierung.“ Durch Aktion entstehe ein „dramatisches Narrativ“, so Hallam. „Man muss politisches Drama erzeugen, das letztlich moralisches Drama ist, mit dem die Unmoral oder Ungerechtigkeit der Sache zum Vorschein gebracht wird.“
Bei der bekanntesten XR-Aktion, der zehntägigen Besetzung von vier Londoner Kreuzungen im April, gelang dies: Die Rekordzahl an Verhaftungen erzeugte politisches Drama und lenkte die Aufmerksamkeit auf das zugrundeliegende moralische Dilemma: Mehr als Tausend wurden verhaftet, damit der Verkehr wieder rollt und die Zerstörung des Planeten weitergehen kann.
„Sag die Wahrheit“
Das dritte Element zur Mobilisierung ist „Wahrheit als revolutionäres Konzept“. „Sagt die Wahrheit“ (über die Klimakrise) ist auch die erste der drei Forderungen von XR.
Normalerweise sind der gesellschaftliche Konsens und die eigentliche Wahrheit nah beieinander (Grafik rechts). Beim Klima sei dies jedoch nicht mehr der Fall, meint Hallam. Der Konsens sagt hier, dass es ausreicht, das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen.
Aus XR-Sicht besteht in Wahrheit jedoch längst ein Klimanotstand und die Treibhausgasemissionen müssen so schnell wie irgend möglich auf null gesenkt werden. Wer diese Ansicht teilt, lässt sich dadurch mobilisieren. Hallam ist davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, „die darauf warten, dass jemand kommt und die Wahrheit sagt“.
Das politische System ändern: Bürgerversammlungen
Die XR-Wahrheit beinhaltet allerdings nicht nur, dass der Treibhausgasausstoß möglichst bis 2025 auf null gesenkt und dabei auch noch das Artensterben gestoppt werden muss, wie die zweite XR-Forderung besagt. Aus XR-Sicht hat auch die repräsentative Demokratie versagt, weil sie die Klimakrise so lange hat eskalieren lassen.
Die dritte XR-Forderung ist daher eine wesentliche Änderung des politischen Systems: Versammlungen aus ausgelosten Bürgern sollen dem Parlament beigestellt werden. Das Vorbild ist eine irische Bürgerversammlung, die empfohlen hat, das strikte Abtreibungsverbot abzuschaffen und die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen. Volksabstimmungen billigten beides anschließend mit großer Mehrheit.
Beim Klima ist Hallam davon überzeugt, dass eine Bürgerversammlung ebenfalls radikale Maßnahmen fordern würde, vor denen Politiker zurückschrecken. „Ganz normale Leute müssen darüber entscheiden, ob sie leben oder sterben wollen. Wenn sie sterben wollen, ist das okay. Aber man kann voraussagen, dass die Leute nicht wollen, dass ihre Kinder sterben.“
In Deutschland wird XR teilweise noch als bunte Spaßguerilla wahrgenommen, die ein bisschen radikaler ist als Fridays for Future. Doch nichts könnte weiter von der „Wahrheit“ entfernt sein. XR ist ein sorgfältig geplanter Aufstand, der letztlich auf eine Änderung des politischen Systems abzielt, um die Klimakrise zu bewältigen. Gail Bradbrook, die zweite Führungsfigur von XR, sagt daher auch: „Ich organisiere keine Proteste. Ich organisiere einen Aufstand gegen meine Regierung.“
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Dieser Artikel ist ursprünglich im Online-Magazin zum Klimawandel Klimareporter° erschienen.