Wie grün ist die Fußball-EM wirklich?
Die Fußball-Europameisterschaft der Herren ist neben Olympia DAS Sportereignis dieses Sommers. DFB und UEFA haben angekündigt, mit der EM in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit einen neuen Standard zu setzen. Ist den Veranstaltern das gelungen?
Deutschland im EM-Fieber
Das Warten hat ein Ende: Heute startet endlich die Fußball-Europameisterschaft der Herren in Deutschland. In zehn Stadien werden im Zeitraum von etwas mehr als vier Wochen insgesamt 51 Partien zwischen den 24 teilnehmenden Teams ausgetragen. Als Topfavoriten der Euro 2024 gelten unter Expert/innen vor allem die Teams aus England und Frankreich. Doch auch die deutsche Nationalmannschaft darf sich nach einigen starken Auftritten in diesem Jahr berechtigte Hoffnungen auf eine Teilnahme am Finale machen, das am 14. Juli im Berliner Olympiastadion ausgetragen wird.
Die Jagd auf den vierten EM-Stern beginnt für die Mannschaft von Julian Nagelsmann am heutigen Freitag gegen Schottland. Und ein Titelgewinn würde die deutsche Elf zum alleinigen Rekordtitelträger bei Fußball-Europameisterschaften machen. Aber auch als Veranstalter will Deutschland bei diesem Turnier neue Standards setzen – besonders in Bezug auf die Nachhaltigkeit. Schon bei der Bewerbung habe das Thema eine große Rolle gespielt, sagt Philipp Lahm. Der Weltmeister-Kapitän von 2014 ist der Direktor der EURO 2024 und leitet das Organisationskomitee.
„Wir wollen Vorbild sein“
Seit Mitte 2023 gibt es laut Lahm eine gemeinsam mit dem europäischen Fußballverband UEFA und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) erarbeitete ESG-Strategie, die die Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung umfasst. „Wir wollen Vorbild sein“, erklärt der 113-fache Nationalspieler im Rahmen einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung im März dieses Jahres. Ziel der EURO 2024 ist es aus Sicht von Lahm, Menschen zusammenzubringen und eine Teilhabe zu ermöglichen. Darüber hinaus hat sich das Organisationskomitee an den internationalen Richtlinien für good governance orientiert.
Um die CO2-Emissionen im Rahmen der Großveranstaltung auf ein Minimum zu beschränken, hat das Team um Lahm und DFB-Vizepräsidentin sowie EM-Botschafterin Célia Sasić das Konzept des nachhaltigen Spielplans entwickelt. „Es ist ein Novum bei einem UEFA-Turnier, dass der Spielplan nach Nachhaltigkeitsaspekten gestaltet worden ist“, erläutert Sasić. Die Organisatoren haben drei regionale Cluster geschaffen; jedes Team trägt seine Vorrundenspiele in nur einem dieser Cluster aus, was die Bewegungen der Mannschaften in Deutschland stark reduziert: „Es ist also ausgeschlossen, dass eine Mannschaft in der Vorrunde in Hamburg, München und Düsseldorf spielt.“
Dadurch verringern sich nicht nur die Kilometer, die eine Mannschaft im Laufe der EURO 2024 zurücklegen muss. Auch die knapp drei Millionen Fußballfans, die in Deutschland erwartet werden und die ihren Teams natürlich in die verschiedenen Austragungsorte hinterherreisen, verursachen weniger CO2-Emissionen. Mit der Deutschen Bahn ist darüber hinaus vereinbart, dass Ticket-Besitzer/innen für die Spiele auch verbilligte Fahrscheine erwerben können. Das Stadionticket berechtigt zusätzlich zu einer 36-stündigen Nutzung des regionalen ÖPNV.
100 nachhaltige Maßnahmen
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser will eine Fußball-Europameisterschaft, „die weit über das Turnier hinaus positiv wirkt.“ Kurz vor Turnierstart haben die Bundesregierung, die zehn Ausrichterstädte und ihre Kooperationspartnerinnen und -partner deshalb jetzt eine Auswahl von insgesamt 100 nachhaltigen Maßnahmen für die Fußball-Europameisterschaft 2024 vorgestellt. Dazu gehören etwa „die Unterstützung von Klimaschutzprojekten von Amateurfußballvereinen, ein umfassendes Kulturprogramm und ein Weiterbildungsprogramm für Volunteers, die Volunteer Akademie“, wie man in der dazugehörigen Pressemitteilung nachlesen kann.
Zu den Maßnahmen gehört beispielsweise auch der Betrieb der Fan Zones zum gemeinsamen Public Viewing ausschließlich mit Ökostrom. In den Stadien gibt es kostenloses Trinkwasser und eine Vielzahl gesunder Speisen – darunter vegane und vegetarische Optionen aus ökologischem Anbau und fairem Handel. In Berlin können alle Bewohner/innen, Gäste und Volunteers im Juni und Juli an allen relevanten EURO-Orten Leihfahrräder kostenlos nutzen. Die Stadt Dortmund arbeitet mit der Initiative Foodsharing e.V. zur Reduktion von Lebensmittelabfällen in der Fan Zone zusammen.
Düsseldorf setzt Mehrweggeschirr für Getränke und Speisen ein und verzichtet im Cateringbereich weitestgehend auf Einweggebinde. In Frankfurt werden im Rahmen der EURO 2024 im Frankfurter Stadtwald insgesamt 2024 Bäume gepflanzt. Hamburg priorisiert die Anreise zum Stadion mit dem Umweltverbund (ÖPNV, Fahrrad, zu Fuß). Für private PKW wird es rund um das Volksparkstadion keine Parkplätze geben. Leipzig führt eine umfangreiche Treibhausgas-Bilanzierung durch und entwickelt ein eigenes Kompensationskonzept für die städtischen Turnieraktivitäten.
Austausch mit Klimaschutzgruppen unerwünscht
Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe sieht bei der EURO 2024 die Vorrausetzungen für ein klimaschonendes Sportgroßereignis gegeben – besonders im Vergleich zu früheren Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften in Russland, China oder Katar. So mussten in Deutschland keine neuen Stadien gebaut werden. Er äußert aber auch Kritik. Gerade im Vorfeld sei die Kommunikation und der Austausch mit kritischen Umweltschutzgruppen eher unerwünscht gewesen. Fischer hätte sich beispielsweise gewünscht, dass es im Rahmen der EM nicht zu Kurzstreckenflügen für Fans oder Mannschaft kommt
Kritik gibt es auch an der Auswahl der Sponsoren der Großveranstaltung, die während der EURO 2024 in den Stadien und den Fan Zones besonders präsent sein werden. Dazu zählen Alipay, Coca-Cola und Unilever. Sogar eine Fluglinie aus Katar ist mit dabei, während sich lokale Unternehmen und Umweltbündnisse laut Aussage von Anton Klischewski mit kleineren Flächen begnügen müssten. Der Experte für Klimaschutz im Fußball wirft der UEFA sogar Doppelmoral vor: „Mir stößt immer noch sauer auf, dass mittlerweile die Euro als dieses große nachhaltige Raumschiff tituliert wird.“ Und dazu gebe es jetzt die Champions-League-Reform mit über 60 Spielen und damit vielen Auswärtsfahrten mehr, bei denen jede Menge CO2 zusätzlich ausgestoßen wird.
Was im Nachhaltigkeitskonzept des deutschen Organisationskomitees um Philipp Lahm und der UEFA ebenfalls nicht vorkommt, ist das Thema Sportartikel und Merchandising. Der Noch-DFB-Sponsor Adidas will zukünftig zwar 90 Prozent der eigenen Produkte nachhaltig produzieren. Doch so weit ist das Unternehmen aus Herzogenaurach noch lange nicht. Und seit Monaten laufen nicht nur bei Adidas, sondern auch bei anderen Sportartikelherstellern, die Produktionen auf Hochtouren, was natürlich zusätzliche Ressourcen verschlingt.
„Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber den Willen, den Fußball mit gezielten Maßnahmen ein kleines bisschen grüner zu machen, kann man den Verantwortlichen nicht absprechen – wie auch das Beispiel des Klimafonds zeigt.“
– Felix Auspurg, Geschäftführer
Klimafonds: UEFA unterstützt deutsche Amateurvereine
Auch für WIWIN-Geschäftsführer Felix Auspurg ist bei der EURO 2024 in puncto Nachhaltigkeit „nicht alles Gold was glänzt. Aber den Willen, den Fußball mit gezielten Maßnahmen ein kleines bisschen grüner zu machen, kann man den Verantwortlichen nicht absprechen – wie auch das Beispiel des Klimafonds zeigt.“ Die UEFA schüttet darüber sieben Millionen an deutsche Amateurvereine aus, die diese für die Umsetzung nachhaltiger Projekte verwenden können, beispielsweise für die Installation einer Wärmepumpe, LED-Flutlichtleuchten oder Busse mit Elektroantrieb. Mehr als 4.000 Vereine in Deutschland haben sich bereits beworben. Die ersten Projekte befinden sich bereits in der Umsetzung.
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