„Je mehr wir über Geld reden, desto leichter fällt es, kluge finanzielle Entscheidungen zu treffen.“

Vor sechs Jahren hat Karolina Decker finmarie gegründet, eine digitale Plattform zur finanziellen Weiterbildung speziell für Frauen. Inzwischen hat sich ihr Engagement vermehrt auch auf Kinder und Jugendliche ausgeweitet, die gemeinsam mit ihren Eltern das Thema Finanzen alltagsnah erlernen wollen. Wir haben mit ihr über den Stand der Finanzbildung in Deutschland gesprochen, wie sie ihren eigenen Kindern den Umgang mit Geld näher bringt und was finanzielle Freiheit für sie persönlich bedeutet.
Kannst du seit der Gründung von finmarie im Jahr 2019 einen verbesserten Zugang zu Finanzbildung für Frauen erkennen oder sind sie strukturell weiterhin benachteiligt?
Karolina: Seit 2019 hat sich der Zugang zu Finanzbildung für Frauen verbessert: Es gibt mehr Angebote und auch das Selbstvertrauen wächst – laut Studien fühlen sich heute rund zwei Drittel der jungen Frauen kompetent bei Finanzentscheidungen, 2018 war es noch weniger als die Hälfte. Die gesellschaftliche Diskussion ist offener geworden.
Gleichzeitig bleiben die strukturellen Unterschiede deutlich: Der Gender Pay Gap liegt 2024 noch bei 16 %, Frauen bekommen im Schnitt 27 % weniger Rente als Männer und investieren deutlich seltener – nur etwa 30 % legen aktiv am Kapitalmarkt an. Frauen sind heute besser informiert und interessierter an Finanzthemen, doch die Lücken bei Einkommen, Rente und Investitionen bestehen weiter. Genau hier setzt finmarie an, um Frauen gezielt zu unterstützen und echte finanzielle Unabhängigkeit zu fördern.
Welche drei Tipps würdest du gerade jungen Frauen mit auf den Weg geben, die zum ersten Mal anfangen, sich mit ihren Finanzen zu beschäftigen?
Karolina: Erstens: Bevor du investierst, verschaffe dir einen Überblick: Schreibe für ein bis zwei Monate alle deine Einnahmen und Ausgaben auf, egal ob mit einer App oder ganz klassisch in Excel. So erkennst du, wo dein Geld tatsächlich hingeht. Ein wichtiger erster Schritt ist ein Notgroschen von 3–6 Monatsausgaben, am besten auf einem Tagesgeldkonto. Beispiel: Wenn deine Fixkosten 1.200 € im Monat betragen, solltest du 3.600–7.200 € Rücklagen aufbauen. Das gibt dir Sicherheit – und verhindert, dass du im Notfall teure Kredite aufnehmen musst.
Zweitens: Viele warten, bis sie „genug“ Geld haben. Dabei reichen schon kleine Beträge: Ein ETF-Sparplan mit 50 € pro Monat kann über 30 Jahre (bei durchschnittlich 6 % Rendite) mehr als 50.000 € ergeben. Wenn du 200 € im Monat anlegst, sind es bereits über 200.000 €. Das zeigt: Zeit ist dein größter Hebel. Je früher du startest, desto mehr arbeitet der Zinseszinseffekt für dich – selbst wenn die Summe am Anfang klein wirkt.
Drittens: Finanzen sind kein Tabuthema, sondern ein Werkzeug für Freiheit. Tausche dich mit Freundinnen, Kolleginnen oder in Netzwerken offen über Gehalt, Sparstrategien oder Investitionen aus. Beispiel: Wenn ihr im Freundeskreis offen über Gehaltsverhandlungen sprecht, können alle voneinander lernen – und bessere Argumente im nächsten Gespräch mitnehmen. Je mehr wir über Geld reden, desto normaler wird es – und desto leichter fällt es, kluge finanzielle Entscheidungen zu treffen.

Finanzen sind kein Tabuthema, sondern ein Werkzeug für Freiheit. Je mehr wir über Geld reden, desto normaler wird es – und desto leichter fällt es, kluge finanzielle Entscheidungen zu treffen.
– Karolina Decker, Gründerin von finmarie
Der neuesten OECD-Studie zur Finanzbildung in Deutschland zufolge würden 87 Prozent der 14- bis 24-Jährigen gerne mehr über den Umgang mit Geld wissen. Was bedeutet das für dich und deine Arbeit?
Karolina: Die Zahl überrascht mich nicht – im Gegenteil, sie bestätigt genau das, was wir bei finmarie seit Jahren sehen. Junge Menschen, gerade auch Frauen, haben ein großes Bedürfnis nach Wissen im Umgang mit Geld, bekommen dieses aber weder in der Schule noch im Elternhaus systematisch vermittelt.
Für meine Arbeit bedeutet das zweierlei: Erstens müssen wir Finanzbildung früher und praxisnäher ansetzen – zum Beispiel mit Programmen an Schulen oder durch digitale Formate, die Jugendliche in ihrem Alltag erreichen. Zweitens zeigt es, wie wichtig es ist, Finanzthemen verständlich, zugänglich und lebensnah zu erklären. Je früher junge Menschen verstehen, wie Sparen, Investieren oder Altersvorsorge funktionieren, desto besser können sie finanzielle Unabhängigkeit aufbauen.
Lesetipp
Im vergangenen Jahr haben wir mit Karolina Decker darüber gesprochen, welchen Hürden Frauen am Finanzmarkt begegnen und inwiefern Crowdinvesting dabei den Weg ebnen kann.
Seit wir das letzte Mal gesprochen haben, engagierst du dich noch stärker für die Finanzbildung von Familien. Am 20. September findet beispielsweise euer Finance Fam Jam, ein Finanzfestival für Familien in Berlin, statt. Noch ist es eher ungewöhnlich, Eltern gemeinsam mit ihren Teenagern anzusprechen – wie bist du auf das Format gekommen?
Karolina: Die Idee für das Finance Fam Jam ist aus unserer täglichen Arbeit entstanden. Wir haben gesehen, dass viele Eltern zwar anfangen, sich mit ihren Finanzen zu beschäftigen, aber das Thema in der Familie oft ausgeklammert bleibt. Gleichzeitig wünschen sich Jugendliche mehr Orientierung, wie die oben erwähnte OECD-Studie zeigt.
Mir war wichtig, Eltern und Teens gemeinsam an einen Tisch zu bringen. Denn Finanzbildung funktioniert am besten, wenn sie nicht isoliert, sondern im Alltag gelebt wird. Wenn Eltern Wissen und Sicherheit gewinnen, können sie dieses an ihre Kinder weitergeben. Und umgekehrt können Jugendliche ihre Eltern motivieren, neue digitale Tools oder Anlagestrategien auszuprobieren.
Mit dem Festival schaffen wir eine Plattform, die Spaß, Wissen und Austausch verbindet – Workshops, Spiele, offene Gespräche. So wollen wir zeigen: über Geld reden ist nichts Trockenes, sondern etwas, das Familien stärkt und Generationen verbindet.
Wie bringst du denn deinen eigenen Kindern das Thema Finanzen und Investieren näher?
Karolina: Bei meinen Kindern versuche ich, das Thema Finanzen spielerisch und alltagsnah zu vermitteln. Wir sprechen ganz offen über Geld – zum Beispiel, wofür wir es ausgeben, wie man spart oder warum wir manchmal auf etwas warten, bevor wir es kaufen. Schon mit Taschengeld lässt sich viel üben: ein Teil darf sofort ausgegeben werden, ein Teil wird gespart, und ein kleiner Teil kann sogar „investiert“ werden, etwa in ein gemeinsames Familienprojekt.
Das Investieren erkläre ich gerne mit Bildern: Aktien sind wie kleine Anteile an Unternehmen, ETFs sind Körbe voller solcher Anteile. So verstehen Kinder schnell, warum es besser ist, viele Eier in verschiedene Körbe zu legen. Mir ist wichtig, dass sie von Anfang an sehen: Geld ist nichts Mystisches, sondern ein Werkzeug. Wenn man den Umgang früh lernt, gibt es Sicherheit und Freiheit – und genau das möchte ich ihnen mitgeben.
Du bist als Speakerin bald auch beim Female Empowerment Dinner mit dem Thema “finanzielle Unabhängigkeit für Frauen” dabei. Kannst du uns einen kleinen Sneak Peek geben, was finanzielle Freiheit für dich bedeutet?
Karolina: Für mich bedeutet finanzielle Unabhängigkeit vor allem Freiheit in den eigenen Entscheidungen – also nicht von einem Partner, einem Job oder äußeren Umständen abhängig zu sein, wenn es ums Geld geht. Es geht nicht darum, „reich“ zu sein, sondern darum, Handlungs- und Wahlmöglichkeiten zu haben: sei es, den Job zu wechseln, eine Auszeit zu nehmen oder eigene Träume umzusetzen.
Beim Female Empowerment Dinner werde ich zeigen, wie Frauen Schritt für Schritt dorthin gelangen können – angefangen bei der klaren Struktur der eigenen Finanzen, über den Aufbau eines Sicherheitspuffers, bis hin zum Investieren, um langfristig Vermögen aufzubauen. Finanzielle Freiheit ist kein abstraktes Ziel, sondern das Ergebnis vieler kleiner, konkreter Entscheidungen, die jede von uns treffen kann.
Vielen Dank für die spannenden und persönlichen Einschätzungen, liebe Karolina!
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